BUCHSTÄBLICH KUNST – Malerei mit Schrift

Von Grevy Grevy-Ausstellung, Kunstraum Grevy! With 0 Kommentare
AGNETE SABBAGH & RALF LOBECK

Ausstellungsdauer vom 22. Oktober bis zum 7. November 2021 - Vernissage ist am 22. Oktobr ab 18 Uhr

Am Anfang der Schrift stand das Bild. Bereits die Menschen der Eis- und Steinzeit zierten die Wände ihrer Höhlen mit schlichten Zeichnungen dessen, was ihnen außerhalb der Höhlen begegnete - Tiere, Jagdszenen, Konflikte. Bilder sprechen, erzählen Geschichten. - Bis sich aus diesen rudimentären Abbildungen eine tatsächliche Schriftsprache entwickelte, vergingen Jahrtausende…

AGNETE SABBAGH - Malerei und Enkaustik mit Schrift
Über die Ideogramme, wie man sie in der Hieroglyphen- und Keilschrift findet, entstanden im Laufe der Zeit jene Alphabete, die wir heute zur schriftlichen Verständigung nutzen. Wo diese Schriftzeichen nicht nur zur Übermittlung von Informationen dienen, sondern ihnen ein ästhetischer Anspruch zukommt, spricht man von Kalligrafie, dem schönen Schreiben, dem Sichtbarmachen von Emotionen durch das gekonnte Führen des Schreibwerkzeugs.
Für die Künstlerin Agnete Sabbagh, die sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Kalligrafie beschäftigt, wohnt der Schrift eine besondere Bedeutung inne: Es gilt, sie nach außen zu kehren, anstatt Schriftbild und Inhalt beim Zuklappen eines Buches im Regal verschwinden zu lassen.
In ihren Werken kombiniert die studierte Literaturwissenschaftlerin malerische Aspekte mit Songtexten und Gedichten, die Beatles finden ebenso Einzug in ihr Schaffen wie der Schriftsteller Max Frisch. Die Musikalität beider Kunstformen stellt eine besondere Form der Sprache dar - als reines Instrumental funktioniert Musik wie eine Art klangliches Esperanto, über das sich Menschen weltweit und kulturübergreifend verständigen können. Ergänzt um Gesang wird der Musik eine weitere Ebene der Kommunikation zuteil. Vor allem englische Songtexte können dabei von einem Großteil der Menschen rezipiert werden - doch auch da, wo die Sprachbarriere ein Verständnis des Gesungenen unmöglich macht, reichen die Tonlagen aus, um als Transmitter für die Emotionen zu fungieren.
Die Künstlerin Agnete Sabbagh lässt der Musik aus diesen Gründen eine maßgebliche Rolle bei ihren Arbeiten zuteilwerden. Den Gesang, die Melodie der zitierten Musikstücke und Oden fängt Agnete Sabbagh in ihren Werken auf zweierlei Weisen ein. Neben dem Einsatz der Schriftästhtetik ist da auch die Farbgebung ihrer Gemälde, die, ebenso wie die Tonlage beim Gesang, als Vehikel der Emotionen fungiert. Ihren Arbeiten liegt so eine Synästhesie zu Grunde, bei der sich verschiedene Ebenen der sinnlichen Wahrnehmung vermischen. Ein herausragendes Beispiel dafür findet sich im Gemälde „Wir könnten Menschen sein II“: “Wir hielten die Muschel ans Ohr, wir hörten das Meer”, zitiert die Künstlerin in diesem ein Gedicht von Max Frisch und projiziert das Rauschen der Wellen gleichwohl in das Ohr des Betrachters.
Dieser Wellengang wird seinerseits durch die von Agnete Sabbagh angewandte Encaustic-Technik, auf die Oberfläche des Gemäldes übertragen, bei der heißes Wachs auf den Bildträger aufgebracht wird. Das Eigenleben des Wachses - nicht immer planbar, eigenwillig - konterkariert nicht nur den kalligrafischen Perfektionismus, sondern schafft partielle Unschärfe ebenso wie Tiefenwirkung im zuvor Gemalten und Geschriebenen. Damit greift das Wachs die Mehrschichtigkeit und die Bedeutungsebenen der Sprache auf - ob in Schriftform, gesprochen, gesungen oder gemalt.


 

 

 

 

 

 

RALF LOBECK - Malerei mit Schrift
Heute wäre eine Welt ohne Schrift nicht mehr denkbar - Bücher, Zeitungen, Reklametafeln, Nachrichten in sozialen Medien und Messengerdiensten. Doch in der bildenden Kunst hat die geschriebene Sprache bei weitem nicht die Omnipräsent inne, welche sie im restlichen Alltag genießt. Erst im 20. Jahrhundert avancierte die Schrift von der Signatur, von der Randnotiz, zum tragenden Bildelement. 1930 postulierte etwa der Grafiker und Künstler Kurt Schwitters: "Typographie kann unter Umständen Kunst sein.”
90 Jahre später beweist Ralf Lobeck die Wahrheit in diesem Satz und führt die Aussage Schwitters mit seinen “type paintings” aus dem Bereich der These in die Praxis. Als Kommunikationsdesigner weiß Lobeck um die Kraft des Wortes, um die Rolle der Typografie bei der Vermittlung zwischen Sender und Empfänger, Kunstschaffendem und Betrachter.
Seit 2018 widmet sich der Designer vermehrt der Malerei, vom Wort, von der Schrift, kann und will sich Lobeck aber nicht lösen - sie wird zum elementaren Bestandteil seiner klein- und großformatigen Arbeiten. Das feine Austrennen von Buchstaben mit Skalpell und Pinzette, um Schablonen für die Schrift zu schaffen, steht im Kontrast zum impulsiven Auftragen der Farben mit dem Rakel - Sprache und Gestik, zwei wichtige Mittel der Kommunikation, im kreativen Dialog miteinander vereint.
Das Auflösen, die Destruktion des Wortes - mal deutlich, mal gar nicht, mal nur fragmentarisch zu lesen - ist dabei ein wiederkehrendes Element in Lobecks Kunst. Silben verschwinden hinter Schichten aus Farben, schimmern wie durch einen Nebel hindurch, Gedanken gleich, die man vage zu fassen vermag, aber nur schwerlich über die Lippen bekommt - eine Frage womöglich, vielleicht ein Bekenntnis. Das bleibt das Geheimnis der Schrift.
Durch diese Dekonstruktion einzelner Wort- und Satzelemente setzen sich die Schriftzüge in den Gemälden von Ralf Lobeck zu neuen Letterfolgen zusammen. Einen vergleichbaren Ansatz wählte der US-amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs bei seinen Romanen, die er mit Hilfe der cut-up-Technik verfasste: Burroughs zerschnitt die Seiten seiner Manuskripte und fügte sie wieder zusammen, sodass aus dem, was einst in konsequenter Planmäßigkeit geschrieben wurde, eine assoziative Erzählstruktur entstand. Ähnlich verhält es sich bei den Arbeiten von Ralf Lobeck: Die Songtexte und Zitate aus der Literatur, die der Künstler in seine Bildsprache mit aufnimmt, setzen sich neu zusammen - Sätze aus Liedern und Verse aus der Lyrik werden zu neuen Textzeilen collagiert. Und dort, wo Sätze abreißen und vermeintlich in die Leere laufen, werden sie von Farbzeichen vervollständigt. Ein ausrufendes Rot, ein hoffnungsvoll fragendes Gelb, ein unumstößliches Schwarz. Ein Punkt.
Auf diese Weise schafft Ralf Lobeck ein neues visuelles System zur Kommunikation, in dem Farben und Strukturen zu ebenso gültigen Satzelementen und -zeichen werden, wie die Buchstaben selbst.

Am Anfang der Schrift stand das Bild, an ihrem Ende kehrt es zurück.
                                    

Florian Esser, freier Journalist / 2021


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Donnerstag, 9. September 2021