Kapellenschulen von Thomas Kellner
Von Grevy Kunstraum Grevy!, Scholl Stiftung With 0 KommentareIn Kooperarition mit der Scholl Stiftung präsentieren wir Ihnen den Fotografen Thomas Kellner.
In 49 Bildern thematisiert der Künstler Thomas Kellner – zwischen Kunst und Dokumentation schwankend – einen Teil unserer regionalen Geschichte. Die Kapellenschulen bilden einen solitären Architekturtypus für das Siegerland und angrenzenden Regionen.
Als einzelnstehende und in ihrer Umgebung auffällige Gebäude legen sie die Verbindung zwischen Kirche und Staat ausgehend vom Herrschaftsgebiet des Grafen Wilhelm I. von Nassau-Dillenburg offen.
Unterstützt wurde das Projekt während der Recherche und Umsetzung durch Stipendien des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien durch die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst.
Ausstellung vom 10. November bis 1. Dezember 2023
Soft Opening 10. November 18 – 21 Uhr
Vernissage Freitag 17. November ab 18 – 21 Uhr
mit einer Einführung Pfarrer Christhard-Georg Neubert (Vorstandsvorsitzender der Stiftung Christliche Kunst Wittenberg)
Finissage 1. Dezember 18 – 21 Uhr
Thomas Kellner wird vertreten durch
Thomas Kellner
Thomas Kellner wurde 1966 in Bonn geboren. Er studierte Kunst, Soziologie, Politik und Wirtschaft an der Universität Siegen. 1996 erhielt für seine Serie von Lochkameraaufnahmen Deutschland – Blick nach draußen den Kodak Nachwuchs-Förderpreis, der ihn zu einem Leben als Fotokünstler ermutigte. Seitdem lebt und arbeitet Kellner als Künstler und Kurator fotografischer Ausstellungsprojekte in Siegen. Seit 1993 zeigt Kellner seine Arbeiten in weltweiten Einzelausstellungen, unter anderem in Deutschland, Australien, England, Russland, China, Frankreich, Island, Polen, Dänemark, Brasilien, Syrien, Spanien sowie in den USA und ist an zahlreichen Gruppenausstellungen und Publikationen beteiligt. Seine Arbeiten sind in bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen wie etwa dem Art Institute of Chicago, dem Museum of Fine Arts in Houston, dem Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro, dem Baltimore Museum of Art, dem Fox Talbot Museum in der Lacock Abbey und dem George Eastman Museum in Rochester vertreten. 2003 wurde er in die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) berufen.
Kapellenschulen
Die Kapellenschulen bilden einen solitären Architekturtypus, der die Verbindung zwischen Religion und schulischer Bildung offenlegt. In einem Gebäude vereinen sich demzufolge Gottesdienst und schulischer Unterricht, was die Kapellenschulen als hybrid genutzte Bauwerke klassifiziert. Der Terminus Kapellenschule resultierte aus der partiellen Integration der Schulen in bereits bestehende Kapellen und hat sich vor allem im Siegerland und den angrenzenden Gebieten infolge geografischer und politischer Verbindungen etabliert. Die künstlerische Auseinandersetzung mit den Kapellen-schulen möchte dieses regionaltypische Kulturgut über ein neues Medium bewahren und in Erinnerung rufen. Nicht zuletzt hat die geschichtliche Unkenntnis und mangelndes Interesse zum Verkauf, Abriss oder Umbau einer Großzahl baufälliger Kapellenschulen in der Nachkriegszeit geführt. In 49 Motiven widmet sich Thoms Kellner daher einem regionalen und kultur-historischen Thema: den Kapellenschulen.
Das architektonische Erscheinungsbild
Die hybride Nutzung der Kapellenschulen ist architek-tonisch verankert und zeigt sich in einem Gebäudetypus, der zwischen Profan- und Sakralbau schwankt. Das äußere Erscheinungsbild der Kappelenschulen ist nicht religionsgebunden und gibt weder durch die Fassaden-gestaltung oder Baukonstruktion noch durch die Raum-aufteilung Aufschluss über die konfessionelle Zugehörigkeit. Die Bauten bestechen vornehmlich durch ihre zweckdienliche Bauweise. Auf die religiöse Nutzung verweisen lediglich ein Dachreiter mit Glocke und stellenweise ein Fünfachtelabschluss des Chores sowie die Ausgestaltung des Innenraums, die zumindest im Inneren Rückschlüsse auf die Konfession zulässt. Die Kapellenschule war über den schulischen und religiösen Gebrauch hinaus ein multifunktionaler Ort für die Gemeinde, was bis heute fortgesetzt wird. Denn gerade die Nähe der Kapellenschulen zu bürgerlichen Wohn-bauten begünstigte eine Loslösung aus dem religiösen Kontext und ermöglichte eine Nutzungsänderung, nachdem die Gebäude für den schulischen Unterricht zu klein geworden waren.
Wilhelm I. und Johann VI.
Als Initiatoren der Kapellenschulen gelten Graf Wilhelm I., genannt der Reiche, und sein Sohn Johann VI., genannt der Ältere. Wilhelm, der 1521 auf dem Reichstag zu Worms selbst miterlebt hatte, wie Luther seine Thesen und Schriften nicht widerrief, ebnete dem reformierten Glauben in seinem Herrschaftsgebiet den Weg. Während er bereits 1518 Maßnahmen gegen den Ablasshandel einführte, wurde erst mit der Einführung der Brandenburg-Nürnbergischen Kirchenordnung 1534 die lutherische Reformation in der Grafschaft herbeigeführt. 1578 führte sein Sohn Johann VI. das reformierte Bekenntnis in Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen ein. Im Laufe seiner Regierungszeit erfuhren Glaube und Bildung eine besondere Bedeutung, sodass er als Förderer der Schulen und insofern ab 1567 der Kapellen-schulen gilt. Der davon ausgehende flächendeckende Aufbau von Schulen mit Unterricht für Jungen und Mädchen sowie die zunehmende Vereinheitlichung der Lehre war Teil und Antrieb der Alphabetisierung.
Die Rolle des Glaubens
Als unter Johann VI. 1578 das reformierte Bekenntnis in Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen einsetzte, stand die Bevölkerung innerhalb von 44 Jahren vor einem zweiten Bekenntniswechsel. Teile der Bevölkerung standen dem damit verbundenen neuen Ritus kritisch gegenüber, grundsätzlich war der Wechsel aber im Einverständnis mit dem Rat der Stadt Siegen geschehen. Dieser trat nämlich nicht nur als Unterstützer, sondern als Initiator der Hinwendung zum Reformiertentum hervor. Der Bekenntniswechsel war Auslöser für eine Bildungsoffensive seitens Johanns VI., die zum Ziel hatte die Theologie des Katechismus und den reformierten Glauben mittels Unterrichts an die Bevölkerung heranzutragen. In Kapellenschulen wurde Jungen und Mädchen, zweifelslos anhand des Katechismus, das Lesen und Schreiben gelehrt. Ab 1624 unternahm Johann VIII. den Versuch die Erblanden zu rekatholisieren. Erfolg hatte er damit nur in Netphen und in Teilen der Stadt Siegen.
Kellners Kapellenschulen
Indem Thomas Kellner das Kulturgut Kapellenschule durch das Medium Fotografie in einen künstlerischen Rahmen überführt, gibt er dem in vielerlei Hinsicht historischen Thema eine neue Dimension in der Gegenwart(skunst). Technisch knüpft er dabei an elementare Strukturen der Architektur der Kapellen-schulen sowie deren hypride Nutzung, verkörpert durch Religion und schulische Bildung, an. So findet sich das Raster der von Kellner verwendeten Kontaktbögen in dem offenen Fachwerk oder der Schieferverkleidung der Fassaden wieder, reihen sich die diversen Kippmomente im Bild in die multifunktionale Nutzung der Räumlich-keiten ein, reflektiert die multiperspektivische Umsetzung vor allem die Wechselbeziehung zwischen religiösem und schulischem Gebrauch. Der Blick auf die Vergangenheit funktioniert immer nur aus einer gegenwärtigen Perspektive. Kellner nutzt dafür seine fotokünstlerische Position und versteht es, den Blick auf die Kapellenschulen neu zu denken und gleichzeitig seiner eigenen künstlerischen Vergangenheit treu zu bleiben.
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