Das Ich ist ständig in Bewegung

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Artikel im KStA zur Ego-Ausstellung

Innenstadt - (1. August 2019 Kölner Stadt-Anzeiger) von Jürgen Kisters

Der Begriff „Ego“ ist in der Umgangssprache gewöhnlich negativ belegt. Besagt er doch, dass ein Mensch nicht nur stark von sich selbst überzeugt ist, sondern sich zugleich mit dieser Einschätzung allzu wichtig nimmt. Dass dieses Ego, das wir auch Ich oder Selbst nennen, in der Psychologie dagegen ein grundlegendes Element des seelischen Zusammenhangs darstellt, zeigt eine Ausstellung im Kunstraum Grevy.

Dort präsentieren 18 Künstler Beiträge zum Thema Ego, die gleichermaßen die Gewissheit des Ego als auch dessen Fraglichkeit vor Augen führen. Denn so selbstverständlich viele Menschen ihr Ich zu verstehen glauben, ist es keineswegs. Ein großes Gemälde der Künstlerin Susebee gleich am Beginn der Ausstellung macht sichtbar, dass die Gestalt, die sich Ich nennt, leicht zu erschüttern ist. Mit energischen Pinselhieben scheint die Figur auf der Leinwand ihr Gesicht zu verlieren. Es scheint nicht einmal mehr festzustehen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt.

Wer bin ich? Jeder hat sich diese Frage bereits gestellt. Ein kleines Bild von Ellen Buckermann macht nachvollziehbar, wie ich mich über die Geschichte meiner Kindheit zu dem entwickele, der ich schließlich bin. „Das blaue Kleid“, so der Titel ihres eigenwilligen Gemäldes, ist ebenso prägend wie das Hüppekästchen-Spiel und die Umgebung, in der ich aufwachse. Trotz vieler bewusster Entscheidungen geschieht der größte Teil in diesem Prozess unbewusst, wie die vielfarbigen fragmentarischen Porträtstudien von Gesa Kieselmann-Fricke zum Ausdruck bringen. Wir sehen darin das Ich als einen Ort der Vertrautheit, der uns auch fremd und zerrissen erscheinen kann.

Nicht zuletzt, um sich ihrer selbst zu vergewissern, schauen viele Menschen häufig in den Spiegel. Brauchen Kinder das Spiegelbild, um überhaupt die Idee einer Einheit des Ich zu entwickeln, schauen Erwachsene in den Spiegel, um ihr Ich zu kontrollieren. Katja Kempe veranschaulicht das in einer aufgefächerten Spiegelfläche, die unterschiedliche Möglichkeiten anbietet, sich zu betrachten und zu kommentieren: „Schau Dich an, Du bist wunderbar“.

Die Grenzen überschreiten

In der Instanz des Ich herrscht unser Bewusstsein. Doch zwischen äußeren Zwängen und Selbstkontrolle hört das Verlangen nicht auf, die Grenzen unseres Ichs überschreiten zu wollen. Indem man sich vorstellt, ein ganz anderer zu sein als der, der man ist. Karl Heinz Heinrichs bringt das mit energischen abstrakt-expressiven Farbschwüngen und -spritzern unter dem Motto „Mach mich frei“ zum Ausdruck.

Diese Befreiung kann auch Zusammenbruch bedeuten, so dass das Ich sich verliert und, wie in den zeichnerisch-fikrigen Bewegungen von Michaela Heiker, nurmehr vage Spuren übrig bleiben. In einer komplexen Komposition führt Renate Geiter das vertrackte und geheimnisvolle Verhältnis von bewussten und unbewussten Anteilen in unserem seelischen Geschehen vor Augen. Stege und Eisenbahnschienen führen in eine unbekannte Tiefe und enden im Meer der Unendlichkeit. Die Baumgerippe im Vordergrund bringen den Hauch von Unheimlichkeit und Tod in die Szenerie. Klein und versteckt erscheinen darin die vagen Körperschemen zweier Liebender zwischen sinnlicher Verführung, Nähe-Verlangen und Illusion. Poesie und diffuse Farbverwischungen, Trauer und Melancholie, Verwirrung und Einsamkeit bestimmen diese Szenerie.

Fest steht: All das ist in unserem Ego wirksam. Wie wir uns ein Bild von einem anderen Menschen machen, machen wir uns ein Bild von uns selbst. Unser Ich, unser Ego, unser Selbst ist unaufhörlich in Bewegung und Verwandlung, während seine Macht darin besteht, sich gleich zu bleiben. Eckhard Zegling setzt plastisch mit einer Olivenwurzel in Szene, dass das Ich löchrig, vielköpfig und wie ein gekrümmtes Stück Holz ist. So erklärte der Psychoanalytiker Sigmund Freud nicht nur die Bedeutung des Ichs als zentrale Instanz zur Beherrschung unseres Lebens, sondern auch, dass wir „nicht Herr in unserem eigenen Haus“ sind. Oder wie sein Kollege Jacques Lacan sagte: „Das Ich ist ein Ort der Täuschung.“

Die Einsicht scheint in Zeiten unaufhörlich propagierter Selbstoptimierung ebenso aus dem Sinn geraten zu sein wie die Tatsache, dass der Körper nicht beliebig nach der Idee des Ego zu modellieren ist. Vielmehr ist unser Leib der Dreh- und Angelpunkt unserer Existenz, von der unser bewusstes Ich nur ein Element ist. Ursula Krenzler erinnert daran mit dem namenlosen Schema eines atmenden Körpers.

Sich mit seinem Ich zu beschäftigen heißt, Dinge über sich selbst erfahren, von denen man nicht mal wusste, dass sie in einem stecken. Während die Ausstellung die konkrete gesellschaftlich-kulturelle Dimension zugunsten einer existenziellen Betrachtung vernachlässigt, besteht allerdings kein Zweifel: Das Ich, das Ego als Instanz von Halt und Orientierung hat es in einer Welt digitaler Verwirrungen und rasend schneller Veränderungen zusehends schwerer. Kunstraum Grevy, Rolandstraße 69, geöffnet Sa 3.8. 12-21 Uhr, Mi 7.8. 18-21 Uhr, Sa, So 10. und 11.8. 14-18 Uhr, Mi 14.8. und Fr 16.8. 18-21 Uhr

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Donnerstag, 1. August 2019